Die große Medienwelt impft uns gerade ein, dass Facebook, Twitter, Instagram und Snapchat der geile Scheiss ist und es nichts wichtigeres gibt als dort im Sekundentakt auf neuen Content zu prüfen und sich an den Likes auf den eigenen Content aufzugeilen. Es wird Angst geschürt, dass Bots Wahlen manipulieren und die Welle der Trittbrettfahrer auf Basis von immer schneller und transparenterer Berichterstattung die Polizei mehr in Atem hält als das eigene Ereignis. Es wird diskutiert ob es auf Grund der Generation XYZ neue Arbeitsmodelle (oder gar Arbeitsbegriffe) geben muss da „Mensch“ eigenverantwortlich mit seiner (Arbeits-)Zeit umgehen möchte.
Mag alles sein.
Es gibt wichtigeres.
Der Umstand einer sehenswerten Ausstellung von Annie Leibovitz und einer langen „online“ Bekanntschaft hat mich am Sonntag nach Frankfurt/Main geführt. Frankfurt, das war mal meine Stadt als ich von 1996 bis 2001 dort im Speckgürtel gewohnt habe. Frankfurt, das fand ich (abgesehen vom Gallusviertel) gar nicht so schlimm. Okay, in der Zeit war ich mehr in der Lufthansa-Lounge als Zuhause – aber wann immer ich in der Stadt war fühlte ich mich sehr wohl.
Gründe genug um nach Frankfurt zu fahren und sich Menschenbilder anzusehen.
Menschenbilder von Annie Leibovitz. Eine Mischung aus High-End Portraits (zB die Queen), aus mit Witz inszenierten Bildern und Schnappschüssen. Nur Frauen. Viele bekannte Persönlichkeiten aus den USA, die wir Mitteleuropäer nicht kennen und damit der sympathie/anthipathie-Bonus der Bilder auflöst und der eigentlich Charakter des Bildes in den Vordergrund rückt. Aha – das ist als die Managerin von Internet-Konzern X? Wenn ich es nicht gelesen hätte dann hätte das Bild für mich eine andere Aussage gehabt. Bilder mit Witz, mit Tiefgang, mit Aussage. Technisch nicht immer perfekt. Warum auch? (Link zu Google Bildersuche)
Da stehen zB 4 Frauen im Mittelpunkt der Ausstellung – je ein Bild von der Strasse und ein Bild in Arbeitskleidung. Die „Normalo“-Bilder zeigen 08/15 Frauen an denen ich sicherlich ohne viel Aufmerksamkeit vorbeigehen würde. Keine Schönheiten, unauffällig.
Akke Alma, Natelle Brennan, Linda Green und Susan McNamara.
Und dann die gleichen Frauen in ihrer Arbeitskleidung – als Tänzerinnen in Las Vegas – geschminkt, buntes wildes Kostüm, barbusig. Ja Annie – erwischt! Da hätte ich mich auch umgedreht. Nicht unbedingt weil die Damen für mich als Sexsymbol gelten würden – aber weil diese Damen dann einfach besonders aussehen und wirken.
Daneben wieder die Bilder von der Straße.
Ein Kontrast den man breiter nicht hätte aufspannen können und der uns zeigt wie oberflächlich diese Welt ist. Wie sehr wir uns von Kleidern & Aufmachung irreleiten lassen. Wie wenig wir doch hinter die Fassade schauen (wollen).
Die Ausstellung ist sehenswert – sehr sogar.
Der Tag wurde mir aber in einer anderen Form noch mehr versüsst. Durch eine nun in Realität fortgeführte Bekanntschaft aus dem WWW, einem lieben Menschen der mit mal sein 105er Macro verkauft hatte (und mich ehrlicherweise davor gewarnt hat es zu kaufen – er lag richtig – ich habe es nicht genutzt und mit Verlust weiterverkauft), einem Menschen der nicht nur tiefsinnige Gedanken hat und schreibt sondern aktuell mit einer wunderbaren Serie von rein analogen Bildern auf seinem Blog hier und da doch auch optisch mich sehr aufhorchen/-sehen lässt. Es war eine besondere Ehre von Ivan zur Ausstellung begleitet zu werden und dann mit ihm einen – in jeder Hinsicht – „analogen“ Rundgang durch die Stadt zu machen. Analoges Treffen, analoge Gespräche, analogem Kaffee, analoge Bilder.
Ich bin gespannt aus aus dem lääängst lääängst abgelaufenen und falsch gelagerten 400er AGFA Farbfilm rauskommt. (Ivan auch) und freue mich auf das nächste Treffen in Frankfurt (dann doch auf dem alten jüdischen Friedhof?) vielleicht ja auch mit anderen Bloggern mit denen ich mich noch viel lieber im realen Leben treffe als nur auf Facebook, Twitter und Instagram.
Danke Ivan für deine Zeit und die Gedanken.
Life is real. Make it happen! 😉