Fragt mich bitte nicht, warum ich jetzt an Zarah Leander denken muss – aber wenn ihr den Ohrwurm jetzt schon mal im Kopf habt:

Kann denn JPEG Sünde sein?
Darf es niemand wissen,
wenn man nicht RAW’t,
wenn man einfach JPEG macht?
Vor Glück?
Kann das wirklich Sünde sein,
wenn man immerzu an JPEG Rezepte denkt,
wenn man auf einmal für Fujifilm brennt?
Vor Glück?

Frei nach Kann denn Liebe Sünde sein aus dem Film Der Blaufuchs, 1938, Zarah Leander mit Odeon-Künstler-Orchester, Dirigent: Lothar Brühne, Odeon

Den Rest spare ich euch mal, ich glaube ihr habt verstanden worum es mir geht. 😀 

Die unbekümmerte JPEG Zeit:

Mit meiner ersten „Digitalkamera“ von Kodak (1998), gab es nur JPEG. Auch später 2005 mit der Canon IXUS 30 konnte man nur JPEG verwenden. Als ich dann vor vielen vielen Jahren angefangen habe etwas ernsthafter mit meiner Pentax K10D zu fotografieren, da habe ich auch in JPEG angefangen. Das war 2008.

Die RAW-Pubertät

Solange, bis mir zwei Podcaster erzählt haben, dass man in RAW fotografieren muss. Muss!
Also habe ich angefangen anstelle mit Photoshop Elements dann mit Lightroom 2 meine DNGs aus der Pentax zu entwickeln und mich da über die Jahre hinweg tief in Lightroom eingearbeitet. Ich habe sogar LR Kurse an der VHS gegeben. Also ganz tief…

Naturschutzgebiet Truppenübungsplatz Landshut | Fujifilm X-Pro3 | Kodak Porta 400

Der Vollformatfrust

Irgendwann habe ich über die Zeit die Lust am fotografieren verloren. Das lag an der familiären Situation, an der (großen) Kamera und am Zeitaufwand für die Verwaltung und Nachberabeitung der Bilder. Die dicke Nikon D600 mit dem fetten 28-70/2.8 lag im Kinderwagen gaaaanz unten und ist eigentlich nicht mehr rausgekommen. Zu groß, zu schwer, insgesamt zu unpraktisch. Und das iPhone wurde von Jahr zu Jahr als Kamera auch immer besser und besser. 
Mit der Panasonic Lumix GM5 & GX8 wurde es ein bisschen besser, die Kameras waren nett klein, die (Festbrennweiten-)Objektive schnuckelig und alles hat wieder in eine kleine Tasche gepasst. Aber noch immer viel Zeitaufwand! Zumal die JPGs der Panasonic nur so la-la waren und im Low-Light Bereich man kräftig gegen das RAW treten musste um die Nachteile des kleinen Sensors auszugleichen.

Panzerwaschanlage – Naturschutzgebiet Truppenübungsplatz Landshut | Fujifilm X-Pro3 | Kodak Porta 400

Der Analog-Ausflug

Zwischendrin habe ich auch ein wenig analog fotografiert, die Nikon F-Serie hatte mich voll angefixt, das 20mm/2,8 Objektiv war wie festgerostet und ein paar Filme wurden bei einem Labor entwickelt und für mich gescannt. Aber der Gesamtprozess mit Film vollmachen, einsenden, warten und Scans erhalten war nicht das was mich zufrieden gestellt hat. Das hat alles viel zu lange gedauert – noch länger als RAWs durch Lightroom zu schubsen. 

Panzerwaschanlage – Naturschutzgebiet Truppenübungsplatz Landshut | Fujifilm X-Pro3 | Kodak Porta 400

Der Fudschihimmel

Dann hatte ich ein unmoralisches Angebot für eine Fujifilm X-Pro2 Graphit erhalten. Ein Neubeginn.  
Mit der X-Pro2 wurde es viel besser, die Kamera hatte mehr „Sex“ und ich hatte wieder richtig Lust die Kamera in die Hand zu nehmen – aber ich war noch immer im RAW-RAW-Land gefangen. 

Panzerwaschanlage – Naturschutzgebiet Truppenübungsplatz Landshut | Fujifilm X-Pro3 | Kodak Porta 400

Das JPEG-Revival 

Irgendwann kam dann ein anderer Podcaster um die Ecke und meinte: Man kann in RAW arbeiten und JPEG ist gut genug! Vor allem mit den Fujifilm Kameras. „Der spinnt doch“ hab ich gedacht und mich doch auf das Experiment eingelassen! 
So habe ich mich langsam an meine JPEG-Fotografie rangearbeitet. Habe JPEG Rezepte ausprobiert, die Vorteile kennengelernt und die Nachteile erfahren.
Der Nachteil zB., dass ein auf „altes Polaroid“ entwickeltes Bild aus dem Urlaub nicht unbedingt den Moment wiedergibt, den meine Frau erlebt hat. Unser Urlaub 2020 war nach Meinung meiner Frau eher 1980 – und es hat ihr nicht gefallen.
Inzwischen nutze ich weniger ausgefallene JPEG Rezepte für den Urlaub – sobald ich aber für mich selbst arbeite, dann darf es gerne etwas „anders“ werden. Kodak Tri-X 400 (im 1:1 Format) und Kodak Porta 400 (warm) sind mein Favoriten, wenn ich für mich alleine unterwegs bin.
Die Entwicklung der JPEGs ist idR nicht notwendig, meistens verwende ich das JPEG so wie es aus der Kamera kommt. Selten passe ich hier nochmals die Belichtung an (da bin ich mit der Fuji und dem EVF nicht immer glücklich). Ich richte (meistens) nicht mal den Horizont aus oder korrigiere stürzende Linien. Treat it like film! 
Man kann also auch „nur“ JPEG machen. 

Naturschutzgebiet Truppenübungsplatz Landshut | Fujifilm X-Pro3 | Kodak Porta 400

Der ZEN-Moment

JPEG only zu arbeiten ist für mich ein bisschen wie analog zu fotografieren. Direkt, ungefiltert, sehr intuitiv und nur für mich. 
Neben den RAW Nachteilen wir Plattenplatz, Zeitaufwand zur Entwicklung, tagesabhängige RAW Entwicklungen und Hyperperfektion überwiegen einfach die mannigfaltigen Vorteile von oder einfach. Es hat sich eine gewisse Leichtigkeit in meinen Foto-Workflow eingeschlichen. Einfach eine Filmsimulation einlegen, meine Welt fotografieren und am Ende die fertigen Bilder in Lightroom laden und im „Kontaktabzug“ aussortieren. Manche Bilder inspirieren mich dann zu einem Text. Fertig.

Naturschutzgebiet Truppenübungsplatz Landshut | Fujifilm X-Pro3 | Kodak Porta 400

Eigenbild und Fremdbild

Was mich aber wirklich wirklich nervt ist das Unverständnis anderer (Profi-)Fotografen, die es nicht nachvollziehen wollen (oder können?), warum ich arbeite und es nicht verstehen, dass ein JPEG im Stil eines Kodak Tri-X 400 eigentlich genau das was ICH brauche. 
Es ist das Beste aus allen Welten für mich. Es kombiniert einen persönlichen Bildlook mit einer direkten ungefilterten Arbeit. Sie zwingt mich direkt richtig(er) zu arbeiten und nicht mit dem Gedanken „I will fix it later in RAW“ abzudrücken.
Daher sind die klassischen Kommentare zu meinen Bildern wie „Das rauscht aber arg…“ (=Korn Simulation) oder „…der Horizont ist schief!“ sowie „Die Linien stürzen!“ (= 1:1 Bild aus der Kamera ohne Nachbearbeitung) ein Hinweis auf eine unbekannte Methode der Fotografie: Ganz PUR ohne Nachbearbeitung!
Warum kann man ein Bild nicht nach seiner Bildaussage, nach der Story, dem transportieren Gefühl und den Emotionen beurteilen anstelle nach dem perfekten Horizont? Ist Schärfe oder der perfekte Weißabgleich das wichtigste Kriterium für ein gutes Bild?
Für meinen Geschmack sind wir aktuell wieder mal zu sehr in der Bildtechnikbewertung und zu wenig in der Bildinterpretation. Ich würde mir gerne mehr Feedback zu den Geschichten und Emotionen meiner Bilder wünschen und weniger Kommentare zu Korn und Horizont. 

Naturschutzgebiet Truppenübungsplatz Landshut | Fujifilm X-Pro3 | Kodak Porta 400

Auftrags-Backup

Gibt es bei mir noch RAW? Ja! Als Backup. Und für „Aufträge“. Wobei ich das Backup zu 99,9% nicht nutze und nur bei Auftragsarbeiten (idR Portraits) einfach auf Velvia schalte und dann mit den RAWs arbeite. Lightroom ist inzwischen sehr sehr mächtig geworden und ich muss mich jedes Mal wieder ein wenig „eingrooven“ damit ich dann ein gutes Ergebnis abliefern kann. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass ich mit dem JPEG direkt aus der Kamera zur Kundin gekommen bin und strahlende Augen gesehen habe. Auch das geht also mit JPEG only.


P.S.: Die Bilder dieses Artikels entstanden bei einem Ausflug/Wanderung nach Landshut zum ehemaligen Standortübungsplatz Landshut mit Isarleite. Natürlich SooC/JPEG only mit Kodak Porta 400.

Nachtrag: Am 11. Mai 2024 habe ich einen Vortrag hierzu gehalten. Ich habe beobachten müssen, dass ein Bericht über meine Sichtweise und meine Erfahrungen nicht bei allen Teilnehmern als dieses aufgefasst wurde. Ich möchte hier nicht „missionieren“. Es ist mein Weg. Mein Fotografie-Weg. Sonst nix.

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